Rainer Fuchs

Bio-Ideologie

Thomas Feuerstein bestimmt das Feld der Kunst als jenes Terrain, auf dem sich von der Künstlichkeit des Realen bzw. vom Verhältnis zwischen Virtualitat, Medialität und Realität schon deshalb sinnvoll handeln läßt, weil Kunst selbst eine realitätsreflexive Bewußtseinstechnik ist. Daß sowohl Realität als auch Kunst nichts zeitlos an sich Gegebenes sind, sondern immer neu zu ermittelnde und zu vermittelnde bedeutungsvariable Konstrukte darstellen, trifft sich in einigen Arbeiten Feuersteins mit der Befragung und Interpretation medien- und biotechnologischer Eingriffe und Manipulationen als Praktiken der Identitäts- und/als Realitätskonstruktion.

Die Dekonstruktion dualer und polar ausgerichteter Denk- und Interpretationstraditionen und -techniken kommt als zentrales Prinzip in Feuersteins Arbeit u.a. darin zum Ausdruck, daß er gesellschaftliche Bedingtheit, Vermitteltheit und Konstruiertheit in genau jenen Bereichen eruiert, die gewöhnlich als interessens- und geschichtsfreie Gegenwelten zu den konfliktreichen Zonen des Zivilisatorischen und Urbanen beschworen werden: nämlich in der "Natur" und insbesonders in der Natur des Menschen als organisch-biologischer Entität. Feuersteins Kunst unterläuft dieses Klischee der Gegenwelten, sie verweist u.a. auf die Interferenz von Politik und Biologie, von Kultur und Natur, indem sie die medialen Strukturen des sogenannten Realen und die biotopischen Strukturen des sogenannten Natürlichen als längst miteinander verkoppelte und einander definierende "Gegebenheiten" thematisiert.

Zu diesem Zweck wendet sich der Künstler u.a. solchen Bereichen zu, in denen Fragen der Mediatisierung und der virtuellen Szenarien auch die biologische und materielle Substanz und Struktur von Organismen betreffen. Mit der Steuerbarkeit und Konstruierbarkeit biologischer Organismen durch Gentechnologie und Humanbiologie ist die Vorstellung von Natur und organischem Leben als ideologiefreier und ahistorischer Gegebenheiten, die ausschließlich natürlichen Zeitzyklen folgen, nachdrücklich konterkariert worden. Daß Identitätskonstruktion auch die Konstruktion geniun körperlicher und biologischer Verfaßtheit mitbedeuten kann, bzw. daß solche Konstruktion Symptom gesellschaftlicher Verhältnisse und Zielsetzungen ist, stellt für Feuerstein die Grundmotivation dar, die Begriffe der Identität, der Realität, der Information und der Autorschaft als relationales Geflecht zu veranschaulichen. Daß zudem radikal neue Möglichkeiten der Identitätskonstruktion nicht nur Zeitgeschichte spiegeln, sondern immer auch historische Bezüge aufweisen, ist ebenfalls ein von Feuerstein zum Vorschein gebrachtes Faktum: erinnert er mit einem Teil seiner Arbeit doch an die Geschichte der Rassenideologie mit ihrer Dialektik von Selektion und Eliminierung, von überzeitlichen Ansprüchen als ideologiebedingter Zeit- und Realitätssteuerung.

Die für natürlich und organisch erachteten artifiziellen Strukturen gesellschaftlicher und biologischer Identitätsbilder macht der Künstler etwa in seinem Projekt "Eugen - hire all my information" transparent. Um aufzuzeigen, daß und inwiefern gentechnische Manipulationsmöglichkeiten bereits längst den ontologischen Status von Natur und menschlichem Subjekt als de- und rekonstruierbar bestimmt und damit entzaubert haben, begab sich der Künstler nach Kalifornien in eine Samen-Bank, um sich dort selbst als reproduzierbares Objekt in Form seiner DNA einzuspeisen. Mit dieser Maßnahme verdeutlicht er, daß die Technik des Sampelns auch die Welt der lebenden Organismen betrifft und daß Realität auch von virtuellen Subjekten, in Form von gespeicherten und jederzeit abrufbaren DNA-Daten mitdefiniert wird. Seine genuinsten persönlichen Eigenschaften, nämlich sein eigener genetischer Code als abrufbare und reproduzierbare Information thematisieren den Begriff der Information als ein bio-ideologisches Phänomen und weisen den Künstler als zugleich konditioniertes und konditionierendes Subjekt aus. Im Begriff der Information konvergieren Kommunikations- und Gentechnologie. Beide definieren das Individuum als Träger und Transmitter von Information, die zeigen, daß Identität sowohl als biologisches wie auch als intelligibles Faktum jeweils eine Summe von Informationseinheiten ist, die zueinander und in sich variabel, auch das Phänomen der Identität als variabel und kontingent bestimmen. Daß die Darstellung, Aufnahme bzw. Weitergabe von Information bereits immer ein Informationsniveau und -system voraussetzt, daß also nicht einfach Meinungen und Urteile in Bezug auf Realität existieren, sondern in Bezug auf schon erfolgte Meinungen abgeben werden und sich darin Realität definiert, ist eine weiteres, durch Feuersteins Vorgangsweise offengelegtes Faktum.

Feuersteins Selbstarchivierung als Schnittstellenmotiv innerhalb des bereits bestehendes Systems der Steuerungseinrichtung für die Produktion von Individuen, ist insofern eine Art metaphorischer Handlung, als sie auf die Doppelfunktion jeder Information und Interpretation verweist, nämlich Konklusion und Entwurf, Darstellung und Vorgriff zugleich zu sein. Indem er seine Autorschaft als künstlerische Botschaft auf die Bereitstellung seiner Erbinformation innerhalb eines high-tech gestützten Daten- und Informationssystems verlagert, zeigt er nicht nur die Verkettung organischer und organigrammischer Ordnungen, sondern symbolisiert er auch die untrennbare kausale Verknüpfung von Recherche und Entwurf, von "Hacken und Programmieren" (Feuerstein).

So wie die Darstellung von Geschichte als unausweichlich perspektivische Interpretation immer auch den weiteren Fortgang der Geschichte zu beeinflußen trachtet, geschieht auch Natur nicht einfach, sondern erweist sich in der von Feuerstein aufgeworfenen Fragestellungen als strukturierbare Realität, die stets auf Ansprüche und Erwartungen verweist, die in gesellschaftlichen Macht- und Interessensverhältnissen begründet sind. Feuerstein klinkt sich und sein Autorenverständnis in genau diesen Mechanismus ein und verhält sich zugleich konträr zu jenen Systemen der selbstimmunisierenden Reproduktion, indem er die dort sonst übliche und garantierte Anonymität in öffentlich rezipierbare Autorschaft verkehrt.

Verweisen Samenbanken auf bestehende Nachfragen bzw. auf ein mangelndes oder als mangelhaft empfundenes Angebot an Individuen, so impliziert eine Stadt wie Bombay, in die sich der Künstler im Rahmen seines Projektes "Biophily" begab, zunächst das Gegenteil: nämlich - um es in der zynischen Sprache der Warenästhetik zu formulieren - ein Überangebot an Individuen aufgrund unkontrollierbarer Verhältnisse. Aber das darin vermeintlich freie Walten der Natur spiegelt in Wahrheit die prekäre sozialgeschichtliche Situation einer Metropole als Rahmenbedingung dieser Art des unkontrollierbaren Wachstums. Feuerstein recherchiert also an jenen Orten, die in Bezug auf Population die Extreme eines Feldes abstecken: nämlich an einem Ort der konsequenten Steuerung von Nachwuchs einerseits, sowie an einem Ort des äußersten Kontrollverlustes über das Bevölkerungswachstum andererseits: Doch beide Pole verweisen gleichermaßen auf die Relationalität von sozialem Feld und Populationsdynamik, von Politik und Leben.

Für "Biophily" - als Titel ein Begriffszwitter, in dem die Bio-logie mit der Philo-sophie buchstäblich gekreuzt erscheint - hat der Künstler sowohl eine fiktive Hochzeit mit einer Topfpflanze als auch die dazugehörende Hochzeitsreise in Indien, einem der bevölkerungsreichsten Länder der Erde unternommen. Die Liebe zum Leben (Biophily) ist längst von der Liebe zum korrigierten und konstruierten Leben durchsetzt und die Technik der Liebe als Grundlage der Reproduktion und Evolution des Lebens meint in diesem Zusammenhang längst auch die Liebe zur Gentechnologie und zum biogenetischen Design. Jemand, der wie Feuerstein im Zuge dieses Projektes die Vorstellung der idyllischen Landschaft und der romantischen Rückenfigur in einem, in der Bilderwerkstatt von "Bollywood" dem Filmzentrum Bombays, in Auftrag gegebenem Hochzeitsbild zugleich thematisiert und desillusioniert, definiert Autorschaft auch in Bezug auf konventionelle künstlerische Medien als deligierbares Prinzip. Ein Porträt seiner selbst in Auftrag zu geben, das zugleich das eigene Werk ist, sich von anderen "kopieren" zu lassen, um gerade darin seine Rolle als Autor/Informant zu erfüllen, legt den Vergleich mit der Rolle des Künstlers im vorhin genannten Projekt "Eugen" nahe. Etwas von anderen zu bestellen und anfertigen zu lassen, bzw. sich selbst als Bestellnummer, Informant und Lieferant für andere Interessenten zu bestimmen, sind im Grunde komplementäre Vorgangsweisen, insofern hier Autorschaft als Leistungstransfer und Schnittstellenhandlung definiert wird, bzw. insofern beidemale von der Reproduktion des Menschen und der sie begleitenden Riten gehandelt wird - einmal im Kontext sanktionierter gesellschaftlicher Tradition, das andere Mal im Rahmen weitgehend tabuisierter Gentechnologie. Die Hochzeit des Künstlers mit der Pflanze, die im bestellten Bild dargestellt erscheint, verweist auf eine Liason von Kunst und Natur aus der Retorte. Weder ein eigenständig erstelltes Gemälde, noch eine naturbelassene Vegetation kennzeichnen dieses Szenario. Die im Bild malerisch gesampelte Realität von künstlichem Dschungel und städtischem Figurenbild vermittelt eine gebrochene, weil bis ins Detail arrangierte und geklonte Idylle. Der Gummibaum als Pendant der Rückenfigur des Künstlers symbolisiert nicht nur die domestizierte und artifizielle Natur, sondern verweist im Motiv des Gummis als künstliche Haut auf das Motiv der Grenze, der Abgrenzung und Eingrenzung von Identität. Diese Thematik spinnt die Figur des Künstlers im Bild fort, indem sein Anzug als spezifisches soziales "Dressing" erkennbar wird. Die Topfpflanze wiederum repräsentiert als gezüchtetes Wachstum auch die zur idealen Warenform stilisierte Natur. Sie symbolisiert idealtypisch das genormte Naturerlebnis bzw. die "Natürlichkeit" domestizierter Lebensweisen. Insofern ist hier die Vermählung zweier bereits urban sozialisierter und informierter Protagonisten dargestellt. Daß dieses Bild ein virtuelles Szenario entwirft, das dennoch Realität in einer zeitgemäßen Form vermittelt, verweist beispielhaft auf die von Feuerstein immer wieder zur Sprache gebrachte Interferenz und Relationalität von Virtualität und Realität, von Ideologie und Biologie.

Feuersteins Praxis läßt deutlich werden, daß man nicht einfach vom Bereich der Kunst aus den Bereich gesellschaftlicher Realität untersuchen kann, ohne beide Bereiche zugleich semantisch zu verschieben. Da in der Kunst wie auch in der Wissenschaft der Untersuchungsgegenstand immer eine Funktion der Untersuchungsmethoden ist und vice versa, kann eine von der artifiziellen und konstruierten "Natur" ihres "Gegenstandes" handelnde Kunst nicht umhin, ihre eigene Artifizialität und Zeitlichkeit zur Diskussion zu stellen. So gesehen nutzt der Künstler nicht einfach künstlerische Strategien für naturwissenschaftliche und kultursoziologische Fragestellungen und Interpretationsmodelle, ist er nicht einfach ein kreativer Erforscher der Mediatisierung des Intelligiblen und Körperlich-Organischen als Beziehungsgeflecht, sondern ein von der Konstruier- und Mediatisierbarkeit künstlerischer Praxis selbst handelnder Künstler. Denn es reicht, sich als "Hacker" in den schon bestehenden Systemen von künstlichen Technologien und künstlerischer Technik zu bewegen, um zugleich ein Programmierer dieser Systeme zu sein.

Thomas Feuerstein
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Ulrike Mair
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G. J. Lischka
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Rainer Fuchs
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Margarete Jahrmann
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