Konzeptuelle Narration

Um die Narrative des Zusammenlebens – abseits einer Logik des ausgeschlossenen Dritten – zu mischen, brauchen Menschen und Kulturen entsprechende Erzählformen: Wir können uns nicht „über die Wissenschaften, nicht über Sachverhalte, sondern nur über Geschichten“ unserem Selbst nähern und gemeinsame Wirklichkeiten schaffen.1 Wir sind ständig mit dem Erfinden von Geschichten beschäftigt, weil unsere Gehirne neurobiologisch ununterbrochen konfabulieren. Geschichten, die wir erfinden oder von denen wir geschrieben und getrieben werden, sind nicht nur fiktiv und symbolisch, sondern auch biopolitisch und technisch. Aus Geschichten gibt es keine Flucht, sie haben keinen Anfang und kein Ende. Institutionalisiert werden sie zu Diskursen, Politiken, Ideologien; moralisiert zu Dogmen und Fundamentalismen.

Genau hier setzt Feuersteins Methode der „konzeptuellen Narration“ an, die das Faktische mit dem Fiktiven und umgekehrt vernetzt. Derartige Bedingungen, kann man einwerfen, finden sich überall: in der Politik, Religion, Werbung und selbst in den Wissenschaften. Aber gerade deshalb besteht die Notwendigkeit, Methoden zu entwickeln, kulturelle Narrative kontingent zu bearbeiten. Auch wenn dies mit den begrenzten Mitteln der Kunst versucht wird, stellen sich modellhaft Möglichkeiten ein, „wahre“ Erzählungen, die sich als Geschichte verleugnen, als eine Geschichte unter anderen wahrzunehmen und ihren vermeintlichen Ausgang – die Moral der Geschichte – offen zu halten. Mit Geschichten als Dogma und Axiom, die das Unvereinbare zu invisibilisieren trachten, wird gebrochen. Geschichten werden polykontextural erzählbar und Realität wird mit anderen Versionen derselben Realität konfrontierbar.

Die Arbeiten und Projekte Thomas Feuersteins beschäftigen sich mit den symbolischen Manifestationen und materiellen Effekten sozialer Narrative unter den veränderten Bedingungen von Technologie, Ökonomie und Politik. Ausstellungen werden zu laborartigen Versuchsanordnungen, die kulturelle „Konfabulationsmaschinen“ zur Generierung von Identitätsprojekten künstlerischen Experimenten unterziehen.

Wenn Feuerstein etwa vom „Special Effect“ der Internationalen Raumstation (ISS) ausgeht und ihn zu einem „Special Effect“ seiner Kunst macht, verstrickt er uns in Geschichten über Politik, Modernität, technischen Allmachtsphantasien, Utopien und Scifi-Szenarien. Das Objekt versteht sich als Knoten und nicht als insistierendes, abgeschlossenes Werk. Es katalysiert Geschichten und ist Relaisstation, die Wirklichkeiten verknüpft und transformiert. Als komplexes kulturelles Artefakt basiert die ISS zwar auf Hochtechnologie, aber vergleichbar mit Architekturen früherer Epochen verkörpert sie ein symbolisches Kondensat westlich modernistischer Zivilisation. Dieses Kondensat einer materialisierten Konfabulation nimmt Feuerstein wörtlich und schafft eine Eismaschine, die physikalisch aus dem Wasserdampf der Ausdünstungen und der Atemluft der Ausstellungsbesucher wächst.

Feuersteins Methode der konzeptuellen Narration provoziert Konfabulationen, die anstatt kausal und dual, myzelhaft agieren. Die Arbeiten entziehen sich einem konventionellen Werkcharakter, indem sie wie kommunizierende Gefäße miteinander in Verbindung stehen. Wenn Plankton und Laborfliegen zum Material von Feuersteins Kunst werden, verweist dies unter anderem darauf, dass die ISS als Überlebenskapsel, interstellares Habitat, Bioreaktor und Labor fungiert. In der Installation Manna Maschine vermehren sich während den Ausstellungen Schwebealgen in einem Bioreaktor, die einerseits zu Pigment für Bilder und andererseits zur Grundnahrung für Drosophila Fliegen verarbeitet werden. Algen und Fliegen bilden in der Installation ein geschlossenes, beinahe autopoietisches System, wie es von Weltraumtechnikern in Form sogenannter Bioregenerative Life Support Systems visioniert wird. Die unterschiedlichen Verwendungszusammenhänge operieren zunächst in den getrennten Sphären des Realen – die Algen als Nahrung – und des Symbolischen – die Algen als Farbe. In einer weiteren Arbeitsreihe werden die gezüchteten Fliegen zu Bildpunkten für Portraits von Personen, die sich auf unterschiedlichen Ebenen mit dem Verhältnis zwischen Singularität und Sozietät beschäftigen. Das Reale und das Symbolische, das Biologische und das Politische bilden erneut einen konzeptuellen Knoten, der deutlich macht, dass Feuersteins künstlerische Konfabulationen in einem Dazwischen, im „inter esse“ der Wirklichkeit geschehen.

  1. Wilhelm Schapp, Philosophie der Geschichten, Wiesbaden 1975, S. XIII.

Beispiele „Konzeptueller Narration“:

Plus ultra: Das Herkulesprojekt

Re-Evolution

RoundupReady

fiat::radikale individuen - soziale genossen

Outcast of the Universe

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